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Ein grosser Poet des Films
Zum Tod des griechischen Filmemachers Theo Angelopoulos Theo Angelopoulos kam am 24. Januar 2012 bei einem Verkehrsunfall am Drehort zu seinem neuen Film DAS ANDERE MEER ums Leben.

Ein grosser Poet des Films

Zum Tod des griechischen Filmemachers Theo Angelopoulos

Theo Angelopoulos kam am 24. Januar 2012 bei einem Verkehrsunfall am Drehort zu seinem neuen Film DAS ANDERE MEER ums Leben. Wir sind schockiert von dieser Nachricht und traurig, einen wunderbaren Menschen und einen grossartigen Filmpoeten verloren zu haben.

Von Walter Ruggle

Eine überdimensionierte Leninstatue wird auf einem Flusskahn die Donau hoch gefahren. An den Ufern bekreuzigen sich die Menschen und fallen auf die Knie (Der Blick des Odysseus). Zu beiden Seiten eines Flusses finden sich die Familien eines Hochzeitspaares ein; der Fluss markiert die Landesgrenze, die Verliebten heiraten, ohne einander berühren zu können, denn die Grenzen sind geschlossen (Der schwebende Schritt des Strochs). Ein altes Ehepaar treibt auf einer Art Floss ins offene Meer hinaus. Er war als Partisan aus dem Exil in die Heimat zurückgekehrt, für die er einst sein Leben riskiert hatte. Jetzt fehlen ihm die Papiere, und er wird auf dem Meer ausgesetzt (Die Reise nach Kythira). Das sind drei Bilder, die europäische Filmgeschichte geschrieben haben, aus Filmen, deren Fragen uns mehr denn je beschäftigen. Was ist ein einzelnes Land? Was sind Grenzen? Was schafft Politik? Woran glauben wir? Was ist der Mensch im Lauf der Zeit?
Wie gerne sinnierte Theo Angelopoulos über die Zeit. Wie oft ist er bei Dreharbeiten ans Wasser gefahren, um an ihm und in Bildern von ihm vom Zeitlichen zu erzählen, vom Fliessen des Wassers, von seinen Tiefen, von dem in ihm Verborgenen, vom Trennenden und von dem zu Überbrückenden, davon, dass das, was wir wahrnehmen, bereits vorüber ist, wenn wir seiner bewusst werden. In Bildern hat er erzählt, in Klängen und Rhythmen, das war seine Arbeit. Antworten auf Fragen des Lebens mochte er für sich suchen, wissend, dass sie sich so einfach nicht finden lassen. Wahrnehmungsräume hat er uns eröffnet, in denen wir uns als Begleitende umsehen konnten. Nicht ihn verstehen sollten wir über seine Filme, uns wahrnehmen schon eher und das, was die Zeiten mit der Zeit des einzelnen Menschen machen.
An die Filme von Theo Angelopoulos denken heisst denn auch, an bewegte Bilder denken, die sich in der Zeit entfalten, an Einstellungen, in denen sich das Geschehen vor unseren Augen entwickelt. Von «Skulpturen der Zeit» hat ein Weggefährte und Wesensverwandter des Griechen, der Russe Andrei Tarkowski, einmal geschrieben. Beide wollten sie ihrem Publikum eine Ahnung davon geben, was das Leben ist, dass es so etwas wie eine abgschlossene Vergangenheit nicht gibt nur das Jetzt, in dem alles andere mit inbegriffen ist. «Die Zeit, das sind wir», sagte mir Angelopoulos erst kürzlich noch im Gespräch, «wir befinden uns gleichzeitig in all den Zeiten.» Und was für Zeiten er als Grieche erlebt hat! Angefangen von der Diktatur Metaxas', in deren Aufkommen hinein er 1935 geboren wurde, über die Zeit der Obristen, in der er seine ersten Spielfilme drehte, bis hin zur aktuellen Krise, die unter anderem dazu führte, dass er zwar die Unterstützung für sein neues Projekt zugesprochen erhielt, aber nicht das Geld, weil dieses in Griechenland heute schlicht fehlt.
In seinem ersten Spielfilm «Rekonstruktion» hatte Theo Angelopoulos 1970 vom Mord an einem aus Deutschland Heimkehrenden Arbeiter in einem griechischen Bergdorf erzählt und dabei das Innere eines Landes gezeigt, das unter einer Militärdiktatur litt. Angelopoulos selber spielte in diesem Film einen Journalisten, der angereist war, um eine Reportage zu drehen und besser zu verstehen, was da vor sich gegangen war – um zu begreifen. Zu den nachhaltigsten Bildern gehört jenes der Ehefrau, die im Garten Zwiebeln setzt auf dem Fleck Erde, auf dem sie und ihr Liebhaber den Getöteten verscharrt haben. Das Gewesene bleibt Gegenwart, das Künftige wächst auf ihr.

Führt man sich Bilder vor Augen, die Theo Angelopoulos gestaltet hat, so sind es immer wieder bewegte Standbilder, die einen Moment integral betrachten und in dem zusammenführen, was für die Zeit stehen kann. Seine langen Einstellungen sind legendär. Er wollte nicht schneiden, weil die Dauer einer Einstellung Teil der gezeigten Wirklichkeit war und diese wiederum eine erdachte. In seinem Schlüsselfilm «Die Wanderschauspieler (1974) lässt er eine Schauspieltruppe zwischen 1936 und 1952 durchs Land ziehen und in den Dörfern ihr einfaches Schäferstück aufführen. Mit dem, was den Einzelnen in der Truppe und der Gruppe als Ganzes im Lauf der Zeit geschieht, betrachtet er die wechselvolle Geschichte seiner Heimat und das Wiederkehrende, verdeutlicht er, wie der Mensch aus der Geschichte nichts lernt. Der Filmemacher führt uns innere Zusammenhänge vor Augen, indem er so weit geht, dass er verschiedene Zeiten in einer einzigen Einstellung zusammenfasst und zu einer zeitlosen Zeit werden lässt.

Vielleicht ist er 1998 im Spielfilm «Die Ewigkeit und ein Tag», den er mit Bruno Ganz gedreht hat, an die Grenzen des Möglichen gegangen. Hier gibt es eine Sequenz, in der in einem Bus die Zeit stillzustehen scheint, in der Vergangenes und Gegenwärtiges auftreten und man als Zuschauer das Gefühl hat, man würde in diesem Bus mit Bruno Ganz zusammen aus der Zeit aussteigen, um sie von aussen in Ruhe zu betrachten. Der Schweizer verkörpert in diesem Film einen Mann, der noch einen Tag zu leben hat – der Rest ist die Ewigkeit.Hatte sich Theo Angelopoulos in den 70er Jahren der Geschichte gewidmet und in prägenden Epen ihr wiederkehrendes Wesen betrachtet, so wandte er sich in den 80er Jahren näher dem Individuum zu. Das hing einerseits mit der Erkenntnis zusammen, dass aus den politischen Träumen von einst nur noch Phantome übrig geblieben waren, andererseits ist er selber Vater dreier Töchter geworden und erzählte beispielsweise von zwei Kindern, die sich auf die Suche nach dem Vater machten (Landschaft im Nebel, 1988), von einem alten Lehrer und Bienenzüchter (Marcello Mastroianni), der Abschied nimmt vom Leben (Der Bienenzüchter, 1986), oder von einem Filmemacher (Harvey Keitel), der die ersten bewegten Bilder auf einem Balkan sucht, der am Ende des 20. Jahrhunderts wieder an seinem Anfang angelangt war und mitten im Krieg steckte.«Der Blick des Odysseus» ist zur erzählten Irrfahrt von einem geworden, den die Unschuld des ersten Blicks interessierte und der Angst davor hatte, dass die Bilder ihre Unschuld verloren haben. Eine Angst, die Angelopoulos selber nur zu gut kannte.
Auf die Frage, warum er Filme mache, hat Theo Angelopoulos einmal mit Borges geantwortet: «Für mich, für meine Freunde und um das Fliessen der Zeit zu versüssen.» Im Hafen von Piräus ist der Filmemacher am Dienstagabend beim Überqueren der Strasse von einem Motorrad erfasst und tödlich verletzt worden. Er, der selber nicht Fahren konnte. Angelopoulos hatte in den letzten Tagen mit dem Dreh seines neuen Filmes begonnen, der den Titel «Das andere Meer» tragen sollte und seine Trilogie zum 20. Jahrhundert hätte. Ein Zitat von Georgios Seferis, einem anderen grossen griechischen Poeten, hat er seinem Drehbuch vorangestellt: «Wir haben es überwunden - das Meer, das zu einem anderen Meer führt.» Am Wasser von Piräus hätte der Film beginnen sollen, jetzt hat am Wasser und an einem seiner wiederkehrenden Drehorte die Zeit eines grossen Poeten der Filmkunst ein jähes Ende genommen.

http://www.trigon-film.org/de/articles/Ein_grosser_Poet_des_Films
Nachricht eintragen: 03/02/2012 - 09:43:37

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